Chor a cappella
Diese Volksballade stammt vermutlich aus dem 18. oder frühen 19. Jahrhundert. Ich schrieb Pápainé 1953, als ich an der Budapester Musikakademie Tonsatz unterrichtete. Das Stück gehört zu einer Reihe kleiner A-cappella-Chöre, die ich zwischen 1940 und 1955 komponierte. Die (einstimmige) Melodie der Ballade gehört zum sogenannten »neuen« Stil der ungarischen Volksmusik, steht im mixolydischen Modus und hat die Strophenartikulation A, B, B', A, wobei B und B' in höherem Register stehen als A, sodass die Form der Melodie bogenartig ist: von A zu B steigend, von B' zu A fallend.
Wie bei den meisten Balladen ist der Textinhalt blutrünstig und knapp: Drei Betyáren (»heldenhafte« Räuber) kommen zu Frau Pápai und sagen ihr, dass sie sie erstechen werden. Sie fleht um Gnade, doch die Betyáren töten sie. Wahrscheinlich handelt es sich um Blutrache oder eine ähnliche »Ehrensache«, denn es geht eindeutig nicht um Raub; die Betyáren treten als Rächer auf. Schließlich wird Frau Pápai in einem schwarzen Sarg zum Friedhof getragen. Die Komposition ist madrigalesk. Stilisiertes Flehen um Gnade, Todesangst und brutales Töten werden musikalisch mit den einfachsten Mitteln geschildert. Das Stück endet mit einer fauxbourdonartigen Variante der Volksmelodie, einer Andeutung des Trauerzuges.
Einführungstext zur Aufführung im Rahmen des Musikprotokolls im Steirischen Herbst Graz am 4. Oktober 1984.
Abdruck aus: György Ligeti, Gesammelte Schriften (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, Bd. 10), hrsg. von Monika Lichtenfeld, Mainz: Schott Music 2007, Bd. 2, S. 155-156. © Paul Sacher Stiftung, Basel und Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Bestellnummer: PSB 1014