Violoncello
II Capriccio
György Ligeti: The Ligeti Project © 2016 Warner Classics 0825646028580
Ich habe erst sehr spät mit dem Klavierspiel begonnen, und als ich mit achtzehn Jahren mein Kompositionsstudium am Klausenburger Konservatorium aufnahm, stellten meine begrenzten Instrumentenkenntnisse ein großes Handicap für mich dar. Darum begann ich, mehrere Instrumente gleichzeitig zu lernen, darunter – als einziges Streichinstrument – Cello, weil ich eine Vorstellung davon bekommen wollte, wie man für Streicher schreiben muss. Ich habe noch immer eine Vor- liebe für das Cello, weil ich es besser kenne als die Geige oder die Bratsche.
Später kam ich dann nach Budapest an die Musikakademie, und da gab es ein Mädchen namens Annus Virány ; sie studierte ebenfalls Cello, und ich war heimlich in sie verliebt. 1948 habe ich ihr ein Stück für Solocello geschrieben, denn ich wusste schon ein wenig über Cellotechnik Bescheid, über die Doppelgriffe auf zwei oder drei Saiten. Ich habe ihr dann das Stück gegeben – sie dankte mir dafür, aber sie hatte natürlich nicht die geringste Ahnung, warum ich es für sie geschrieben hatte. Das Stück nannte ich Dialogo, weil es wie ein Gespräch ist zwischen zwei Menschen – einem Mann und einer Frau. Ich habe darin die C-, die G- und die A-Saite getrennt voneinander eingesetzt.
Seinerzeit stand ich unter dem Einfluss Bartóks und Kodálys. Ich hatte 1946 und 1947 schon viel »modernere« Musik geschrieben, doch dann, 1948, hatte ich das Gefühl, dass ich versuchen sollte, »populärer« zu werden. Ich glaubte ein wenig an den Sozialismus, nicht an den Kommunismus, aber die Sozialisten konnten sich nur ein Jahr lang, eben 1948, behaupten, bevor die Kommunisten an die Macht kamen, und denen stand ich völlig konträr gegenüber. Ich versuchte in diesem Stück, eine schöne Melodie in typisch ungarischem Tonfall zu schreiben, aber kein Volkslied – oder nur andeutungsweise, wie Bartók oder Kodály, eigentlich mehr wie Kodály.
Aufgeführt wurde das Stück allerdings erst viel später. 1953 lernte ich eine bekannte Cellistin, Vera Dénes, kennen – in sie war ich nicht verliebt, sie war auch viel älter als ich. Sie bat mich um ein Stück, und ich erzählte ihr, dass ich eine alte Komposition hätte, die noch nie aufgeführt worden sei, und dass ich noch einen schnellen Satz schreiben würde, um eine kurze zweisätzige Sonate daraus zu machen. Es war sozusagen ein halbes Auftragswerk. Da der zweite Satz den »Ehrgeiz« hatte, ein Sonatensatz zu werden, schrieb ich ihn in Sonatensatzform. Er ist ein virtuoses Stück in meinem späteren, stärker an Bartók orientierten Stil, und er ist schwieriger als der erste Satz. Ob beide Sätze zusammen- passen, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe es.
Noch bevor das Werk aufgeführt oder auch nur kärglich honoriert werden konnte, musste es erst vom Komponistenverband genehmigt werden, in diesem Fall von einem Mann, der – wie sich später herausstellte – ein Mitglied des KGB war. Ich brauchte das Geld, denn ich war freischaffender Komponist. Wäre ich aus dem Komponistenverband ausgeschlossen worden, hätte ich schwere körperliche Arbeit tun müssen. Vera Dénes studierte also die Sonate ein und spielte sie der Kommission vor. Zwar wurde mir nicht erlaubt, das Stück zu publizieren oder öffentlich aufzuführen, doch eine Rundfunkübertragung wurde gestattet. Frau Dénes machte eine ausgezeichnete Aufnahme für den Ungarischen Rundfunk, die aber nie gesendet wurde. Die Kommission entschied, dass das Stück zu »modern« sei wegen des zweiten Satzes. Vielleicht hätten sie den ersten Satz allein akzeptiert – ich weiß es nicht. Dieser zweite Satz ist, wie gesagt, ein hoch-virtuoses Stück: Ich habe die Spieltechnik hier bis an die äußersten Grenzen vorangetrieben, ähnlich wie Paganini, dessen Capricci ich liebte. Nicht von ungefähr nannte ich das Stück Capriccio.
Uraufgeführt wurde die Sonate erst 1983 in Paris, von einem deutschen Cellisten namens Manfred Stilz. Er hatte mich Anfang der achtziger Jahre in Hamburg besucht und mir vorgespielt; zusammen gingen wir die Sonate durch, und ich gab sie ihm zur Uraufführung. Als mich David Geringas wenige Jahre später um ein Stück bat, gab ich ihm ebenfalls eine Kopie und bot ihm an, die deutsche Erstaufführung zu spielen. Dann fragten mich zwei sehr gute Freunde, die beide große Cellisten sind – Siegfried Palm und Wolfgang Boettcher – nach dem Manuskript, nachdem sie gehört hatten, dass Geringas das Stück aufgeführt hatte. Mittlerweile gibt es also vier Cellisten, die die Sonate in ihrem Repertoire haben, und nun kommt noch Matt Haimovitz hinzu. Er hat sie schon zweimal, in Salzburg und Hamburg, phantastisch gespielt, und ich bin sehr gespannt auf seine Aufnahme.
Resümee eines Gesprächs mit Steven Paul anlässlich der CD-Ersteinspielung durch Matt Haimovitz für die Deutsche Grammophon Gesellschaft (DG 431813–2), Hamburg 1991.
Abdruck aus: György Ligeti, Gesammelte Schriften (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, Bd. 10), hrsg. von Monika Lichtenfeld, Mainz: Schott Music 2007, Bd. 2, S. 147-148. © Paul Sacher Stiftung, Basel und Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Bestellnummer: PSB 1014